JAPAN
Freeriden
Japan - ein Paradies für Freerider
Schön sortiert und aufgereiht stehen wir in den Warteschlangen des Flughafens. Wir würden es niemals wagen, hier aus der Reihe zu tanzen und das System der Japaner zu boykottieren, welches auf perfekter Ordnung basiert. Immer freundlich und perfekt organisiert und mithilfe eines unglaublichen Personalaufwands werden wir durch die Einreisekontrollen am Flughafen Haneda in Tokio geschleust. Nach zwei Jahren mit Visaauflagen, die kaum zu erfüllen waren, ist es nun endlich wieder möglich nach Japan zu reisen. Einen Winter wie hier gibt es nicht an vielen Orten dieser Erde.
Schon lange träumen wir vom Gefühl, durch diesen japanischen Powder zu gleiten, den man keinem Freerider mehr vorstellen muss. „Japow“ ist ein Begriff - und das weit über die Grenzen der Szene eingefleischter Tiefschneejunkies hinaus. Der Rausch dieses weißen Pulvers hat Suchtpotential. Die Gefahr an dieser Geschichte: Wir werden mit der Schneequalität zu Hause wohl nie mehr zufrieden sein.
Winterwonderland auf Hokkaido
Doch jetzt sind wir erstmal in Tokio gelandet und besteigen den Inlandsflug NH4721 von Tokio nach Sapporo. Nicht mit dabei ist einer unserer Koffer, der es nach kurzer Recherche am Infostand nicht mal aus Europa raus geschafft hat. 3 Tage später wird er uns geliefert werden. Unsere erste Station auf Hokkaido ist Otaru, die inoffizielle Sushi Hauptstadt Japans. Hier kommen wir auch zum ersten Mal in Berührung mit der ausgezeichneten japanischen Küche, die uns bis zum Ende unserer Reise nicht ein einziges Mal enttäuschen wird. Im Gegenteil: Rahmen wird in den nächsten zwei Wochen unser Leibgericht an den kräftezehrenden und kalten Freeridetagen und Sushi unser Abendbrot. Was wir an unserem ersten Skitag im Skigebiet Tenguyama allerdings noch nicht finden, ist der hoch gelobte japanische Powder. Doch das sollte sich in Kürze ändern. Am Abend kommt ein Sturmtief rein, es beginnt pausenlos zu schneien und das für die nächsten 4 Tage.
Deep Champagner Powder - So schön aber auch gefährlich
Nächster Morgen – alles weiß, so haben wir uns das gewünscht. Nach einer abenteuerlichen Tiefschneefahrt auf vier Rädern erreichen wir das Ski Resort Kokusai. In Massen ist er über Nacht vom Himmel gefallen: Ein unbeschreiblich leichter, kalter Neuschnee. 50 Zentimeter hoch und unberührt liegen die einzelnen Kristalle komplett ohne Bindung zueinander in der Landschaft herum. Unmöglich, dass dieser leichte Schnee trägt, egal wie breit die Skier sind. Man gleitet förmlich durch Schneestaub hindurch. Oft reicht er bis weit über den Bauch, wird ohne spürbaren Widerstand verdrängt und in einer dichten Wolke dahinter aufgewirbelt. Hinterherfahren ist wie ein Blindflug. Einzig die Jubelschreie des Vorausfahrenden lassen erahnen, dass sich in diesem weißen Nebel ein Skifahrer befinden muss. Wie gefährlich dieser phänomenale Schnee jedoch auch sein kann, erleben wir direkt bei der ersten Abfahrt. In einer unscheinbaren Mulde hinter einer kleinen Böschung ragen die Umrisse eines Snowboards aus dem Schnee – kaum sichtbar. Geistesgegenwärtig sind drei unserer Truppe sofort dabei zu graben. Nach wenigen Sekunden ist klar, dass hier jemand kopfüber im tiefen Pulver liegt, gefangen in der eigenen Snowboardbindung. Die Lage ist ernst. Nach wenigen Minuten ist endlich auch der Kopf befreit. Der japanische Snowboarder ist nicht bei Bewusstsein und Spuren im Schnee verraten uns, dass er Blut erbrochen hat. Wie lange er schon so daliegt und ums Überleben kämpft wissen wir nicht. Glücklicherweise stellen wir fest, dass er zumindest noch atmet. Bange 10 Minuten vergehen, dann kommt er langsam wieder zu sich. Am Ende wird die ganze Sache nochmal gut ausgehen. Aber wir sehen auch die Kehrseite dieses grundlosen Pulverschnees: Allein unterwegs sein und stürzen ist keine gute Idee. Von nun an sind wir im Buddy-Prinzip unterwegs und passen auf uns gegenseitig auf.
Freeriden bis zum umfallen
Japan ist ein Land, das Schnee gewohnt ist. Das sieht man an allen Ecken. Wir erleben in den zwei Wochen gerade mal 3 Tage, an denen es nicht schneit und trotzdem funktioniert alles komplett reibungslos. Keine Staus, gesperrte Straßen oder liegengebliebene Fahrzeuge. Der Schnee, der sich in den Städten meterhoch türmt, wird ständig mit Lastwagen abtransportiert. Ganze Armadas an Straßenarbeitern mit Baggern, riesigen Schneefräsen und Schneepflügen rücken über Nacht an und befreien gleich mehrere Stadtviertel von den Schneemassen, um Platz für neuen zu machen. Und er kommt – mit Sicherheit. Es ist ein absolutes Märchenland für alle, die den Winter lieben so wie wir.
Rusutsu und Niseko sind unsere nächsten beiden Zwischenstopps. Zwei große Skigebiete, die mit modernen Liftanlagen und massig perfektem „Off-Piste-Terrain“ aufwarten können. Nicht umsonst ist vor allem Niseko der Hotspot für Freerider auf Hokkaido schlechthin und Schauplatz der meisten japanischen Skipornos auf Youtube. Der große Ansturm ist die Folge dieser Werbung. Mit etwas Fantasie und ein klein bisschen Aufwand kann man aber auch am Nachmittag noch Waldstücke finden, wo sich „Firstlines“ ausgehen. Wir haben uns angewohnt die Felle stets im Rucksack zu haben und können ohne lange Überlegungen die besten Hänge abfahren – egal in welche Richtung. Im schlimmsten Fall wird unten für 10 Minuten Gegenanstieg aufgefellt und wir sind zurück im Skigebiet. Für solche Abfahrten würden wir in Europa stundenlang aufsteigen und zig Mal wieder auffellen.