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WETTER

Alpines Knowhow

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Alpinwetter und seine Besonderheiten

Das Wetter in Bergen ist eigentlich nicht so überraschend wie oft in den Nachrichten zu lesen ist. Schlagzeilen wie: „Sie wurden von einer Kaltfront überrascht“ findet man da zum Beispiel. Mit den heutigen Standards, wie Wetterprognosen erstellt werden und der Masse an einfach zugänglichen Informationen ist es eher oft eine mangelhafte Tourenplanung, oder ein falsch kalkuliertes Risiko, das zu Unfällen in Zusammenhang mit dem Wetter führt. Oft müsste die Schlagzeile vielleicht einfach heißen: „Sie wurden von der Heftigkeit des Wettersturzes überrascht“, um den Kern besser zu treffen. Oben in den Bergen fällt alles extremer aus als im Tal. Die Gewitter sind heftiger, Regen- oder Schneefälle stärker und die Temperatur sinkt häufig binnen kürzester Zeit im Zuge einer Kaltfront extrem. Kommen dann noch Orientierungsschwierigkeiten durch häufiger auftretenden Nebel sowie der meist viel stärkere Wind dazu, der die eh schon durchnässten Kleider durchdringt und für eine rasche Unterkühlung sorgt, befindet man sich plötzlich in Teufels Küche. Wie schnell sich eine eigentlich sichere Situation in eine gefährliche verwandelt, kann für alle die das Wetter nur vom Tal kennen durchaus überraschend sein. Gute Vorbereitung, Tourenplanung und ständige Beobachtungen unterwegs können derartige Situationen eigentlich gut verhindern. Die Realität ist jedoch oft so, dass der Wetterbericht nicht 100% ideal ist, man startet trotzdem in der Hoffnung, das sich der Wetterbericht auch mal irrt und geht ein kalkuliertes Risiko ein. Entsprechend ausgerüstet für mögliche extreme Wettersituationen ist man trotzdem in der Lage sicher unterwegs zu sein und nicht vom Wetter „überrascht“ zu werden.

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Das Wetter in der Tourenplanung

Die Gefahren die durch das Wetter in den Bergen hervorgerufen werden sind vielseitig, und meist treffen mehrere Faktoren gleichzeitig zu, dann wird aus einer harmlosen und einfachen Bergtour schnell ein Kampf mit den Elementen und im Extremfall um das eigene Überleben. In der Unfallstatistik in den Alpen gibt es leider viele Beispiele wo sich wahre Dramen abgespielt haben. Die Ursachen und Gründe für jeden einzelnen dieser Unfälle sind individuell sehr unterschiedlich, aber sehr viele dieser Tragödien hätten sich durch eine gewissenhafte und komplette Tourenplanung oder besserer Ausrüstung vermutlich vermeiden lassen. Im Nachhinein urteilen ist einfach und Unfälle sind immer ein komplexes Zusammenspiel von mehreren kleineren Faktoren und Fehlern, die in ihrer Gesamtheit zu einem großen Problem werden. Bestmöglich auf viele Eventualitäten vorbereitet und flexibel zu sein kann unterwegs von großem Vorteil sein. Deshalb empfiehlt es sich Folgendes bei der Tourenplanung zu berücksichtigen:

• Wetterbericht
- Verlässliche Prognosen sind nur für wenige Tage möglich
- Verwende lokale Wetterdienste: Für jede Region der Alpen gibt es Besonderheiten, die nur lokale Wetterdienste durch das Jahrelange Sammeln von Informationen und Wissen in die Prognosen einfließen lassen
- Große Wetterseiten verwenden ein sehr weitmaschiges Netz um Daten zu sammeln und Prognosen zu erstellen. Das funktioniert vielleicht in flachen Gegenden aber in den Bergen werden Luftströme viel stärker beeinflusst und das Wetter ist wesentlich komplexer vorherzusagen
- Hol dir mehrere Wetterprognosen verschiedener Wetterdienste
- Im Text sind wichtige Informationen – schau dir nicht nur die Wettersymbole an
- Wie hoch liegt die erwartete Wolkendecke (z.B. Kachelmann bietet diese Information)
- Mit welchen witterungsbedingten Gefahren muss auf Tour gerechnet werden
- Wie war das Wetter der letzten Tage (Wind, Temperatur, Niederschläge – Lawinengefahr?)
- Webcams liefern ebenfalls gute Informationen da man sich auch direkt selbst ein Bild machen kann
- Vorsicht bei „Tourismuswetter“ – je nach Quelle wird der Bericht etwas optimiert

• Karten und GPX Daten
- Kommst du in den Nebel bist du ohne Kartenmaterial komplett orientierungslos. Vor allem im Winter und auf Gletschern
- Noch besser ist ein GPX Track oder zumindest die Koordinaten von wichtigen Punkten (Hütte, Parkplatz, Weggabelungen) die du anpeilen kannst

• Routenwahl
- Passe deine Route an: herrscht Gewittergefahr? Dann besser nicht die lange Alpinroute klettern, die beim Abstieg durch eine enge Schlucht führt
- Gibt es Unterschlupf entlang der Tour im Falle eines Wetterumschwungs?
- Sind bestimmte Routen - z.B. auf Gletschern - aufgrund des Klimawandels noch möglich? (Steinschlag, Eisschlag, Steilheit)

• Persönliche Kondition und Erfahrung
- Bin ich der Tour gewachsen
- Habe ich im Falle von Wetterumschwüngen noch Reserven
- Habe ich die nötige Erfahrung und das Wissen um bei extremen Verhältnissen zu bestehen

• Ausrüstung
- Regenschutz und warme Kleidung muss bei jeder Tour dabei sein
- Lieber zu viel als zu wenig – ohne zu Übertreiben
- Kleinigkeiten wie Mütze, Handschuhe und Rettungsdecke wiegen nichts und sind im Extremfall eine riesen Hilfe
- Steigeisen sind oft eine sinnvolle Ausrüstung (vor allem im Frühjahr)
- Sonnenschutz – UV-Strahlung ist nicht zu unterschätzen – auch im Winter

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Das Wetter Unterwegs checken

Unterwegs die Entwicklung zu beobachten ist unerlässlich. Das kann anhand von aktualisierten Informationen der Wetterdienste passieren. Dafür braucht es aber eine Internetverbindung um die Daten in den Apps aufzurufen. In den Bergen jedoch keine Selbstverständlichkeit, dass überall mit Handyempfang zu rechnen ist. Falls das jedoch möglich ist können wichtige und am aktuellen Standort vielleicht noch gar nicht sichtbare Informationen aufgerufen werden: Der Regenradar zeigt an, wo es bereits Niederschläge gibt, in welche Richtung diese ziehen und mit welcher Geschwindigkeit. Blitzaktivitäten deuten auf aktuelle Gewitterzellen hin. Das Sichtfeld ist in den steilen Wänden oft sehr eingeschränkt und ein Gewitter, das von der falschen Seite kommt, erst dann erkennbar wenn es längst zu spät ist. Gibt es kein Handynetz hilft nur die Entwicklung der Wolken, des Windes oder der Temperatur selbst zu beobachten und einzuschätzen. Als Laie sind die einzelnen Wetterzeichen allerdings oft schwierig zu deuten.

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Alarmzeichen für schlechtes Wetter in Anmarsch

• Wärmegewitter
- Auftürmende Wolken und schnelle Wolkenentwicklung (Gewitter)
- Schwül-Warme Luft bereits am Morgen
- Morgendunst

• Im Gewitter
- Böiger Wind
- Surren
- Haare stehen zu Berg
- Elmsfeuer
- Niederschlag (Starkregen, Graupel, Hagel)

• Kaltfront
- Oft als graue stehende Wolkenwand in großer Höhe am Horizont erkennbar
- „steht“ nur scheinbar – bewegt sich mit 30-100 Stundenkilometern
- Das zeitliche Eintreffen kann gut vorhergesagt werden

• Wind
- Der Wind weht Talaufwärts: deutet auf ungestörte Verhältnisse hin.
- Der Wind weht das Tal hinab: deutet auf Kaltluft durch ein nahendes Gewitter hin.
- Mit der Höhe zunehmender Wind deutet auf Föhn hin, der meist Gewitterunterdrücken ist.
- Linsenförmige Wolken deuten auf sehr starken Wind in der Höhe hin.
- Föhnlinsen deuten auf starken Wind in der Höhe hin

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Alpine Gefahren die durch das Wetter hervorgerufen werden

• Wind
- Schneeverfrachtung (Lawinengefahr)
- Steinschlag
- Verständigungsschwierigkeiten (Seilkommandos)
- Windchill Effekt (Starke Auskühlung – gefühlte Temperatur bei starkem Wind kann extrem werden)
- Probleme bei Rückzug (z.B. Verkeilen der Seile beim Abseilen aus alpinen Kletterrouten)

• Niederschlag
- Neuschnee (Lawinengefahr, Orientierungsprobleme da Markierungen und Wege nicht mehr sichtbar sind)
- Sturzbäche (z.B. in Wasserstreifen oder engen Schluchten in den Dolomiten)
- Muren und Steinschlag
- Absturzgefahr (Schnee, gefrierender Regen, Eisbildung)
- Unterkühlung (Durchnässte Kleider)

• Temperatur
- Steinschlag (auftauender Permafrost)
- Eisschlag
- Lawinengefahr (Nassschnee)
- Gletscherrückgang (Moränen, Steinschlag, Absturzgefahr)
- Wettersturz (kälte)

• Sonne
- Starke UV-Strahlung (Sonnenbrand)
- Schneeblindheit (ohne Sonnenbrille auf Gletscher oder Schneefeldern)

• Wolken
- Einfluss auf Schneedecke (z.B. verhindert das Ausstrahlen im Frühjahr – Lawinengefahr)
- Orientierungsverlust im Nebel

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Verhalten bei Wetterstürzen und Gewitter

Am besten man Plant die Tour so, dass man rechtzeitig zurück ist. Wärmegewitter entstehen meistens erst am Nachmittag. Wenn man trotzdem früher als erwartet in ein Gewitter gerät werden in den Bergen folgende Verhaltensregeln empfohlen:
• Verlasse Grate und Gipfel. Aber setz dich dabei nicht Steinschlaggefahr und Wasserströmen (elektrischer Leiter!) aus.
• Meide Drahtseile, einzelne Bäume, Stromleitungen, Seilbahnen und Skilifte.
• Weg von Seeufern, Brücken und heraus aus wasserführenden Rinnen. Möglichst trockenen Boden aufsuchen.
• Größere Felshöhlen und Mulden können Sicherheit bieten; kleine Nischen und Überhänge können jedoch gefährlicher sein als das offene Feld.
• Nahe einer Felswand gibt es ein relativ sicheres Dreieck, dessen Seitenlänge am Boden der Höhe der Wand entspricht. Halten Sie mindestens 3-5 Meter Abstand von senkrechten Wänden, aber setzen Sie sich nicht Steinschlag aus.
• Ein schütterer Wald mit niedrigen Bäumen ist sicherer als eine freie Lichtung.
• Über den Rucksack oder die Schulter ragende Ski, Eispickel, Skistöcke oder Antennen können als Blitzableiter fungieren — diese daher abseits legen.
• Alle weiteren Metallobjekte ebenfalls weglegen. Handys sollten in der Mitte des Rucksacks verstaut werden.
• Sichere dich! Und zwar auch an scheinbar sicheren Stellen, um bei Blitzschlag nicht weggeschleudert zu werden. Am besten mit einer karabinerlosen Seilverbindung, die unterhalb des Herzens endet. Vorsicht: Nasse Seile sind elektrische Leiter.
• Wenn ein Klettersteig nicht verlassen werden kann, dann von einem einzelnen Fixpunkt weg eine Sicherung aufbauen.
• Behalte den Helm auf, nicht nur wegen der Steinschlag-, sondern auch wegen der Anprallgefahr bei Blitzschlag.
• Direkt im Gewitter: Aussitzen, keine Bewegung mehr! Mit geschlossenen Beinen Kauerstellung einnehmen und den Boden mit der kleinstmöglichen Fläche berühren, um Schrittspannung zu vermeiden. Auf eine isolierende Unterlage setzen (Biwaksack, Rucksack, Seil). Auf der Haut anliegende Halsketten oder Ähnliches abnehmen wegen Verbrennungsgefahr.
• Mehrere Personen sollten voneinander Abstand halten, um Bodenströme und Seitenblitze zwischen den Personen zu vermeiden.
• In einer Hütte Fenster und Türen schließen, nicht aus dem Fenster lehnen oder in der offenen Tür stehen. Die Metallwand einer Biwakschachtel nicht berühren.

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Ich hoffe dass du mit diesen Infos und Tipps nicht mehr so leicht vom Wetter in den Bergen "überrascht" wirst. Eine defensive Planung um schlechtem Wetter von vornherein auszuweichen ist sicher keine Schande wenn man die extremen Bedingungen, in den Bergen einmal miterlebt hat. Und falls es trotzdem passiert, muss zumindest die Ausrüstung und die Tourenvorbereitung passen, um sicher wieder nach Hause zu kommen.

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Brunner Andreas - Südtirolalpin

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