SPALTENRETTUNG
Hochtouren Special
Die Grundlegendsten Techniken für die Spaltenrettung
Im Falle eines Spaltensturzes werden verschiedene Methoden und Seiltechniken benötigt, um sich und die eigene Seilschaft aus dieser misslichen Lage zu befreien. Unterwegs zu sein auf vergletschertem Gelände bedeutet, dass man sich in hochalpinem Gelände befindet, wo bei widrigen Wetterverhältnissen eine Bergrettung lange braucht um vor Ort Hilfe leisten zu können. Für solche Situationen ist es durchaus sinnvoll, sich mit diesen Methoden auseinander zu setzen und zumindest die Grundlagen dieser Techniken zu beherrschen. Nicht immer kann man sich auf andere Seilschaften oder Rettungsmannschaften verlassen - vor allem dann nicht, wenn es vermutlich eh schon ernst genug ist.
Münchhausen Technik
Wer mit Menschen auf Gletschern unterwegs ist, die noch wenige Erfahrung in diesem Gelände haben und auch nichts von Seiltechniken zur Kameradenrettung bei einem Spaltensturz wissen, der sollte sich zumindest selbst helfen können. Dazu eignet sich in einigen Fällen am besten die klassische Prusiktechnik. In vielen Fällen, nämlich dann, wenn sich das Seil tief in den Firn am Spaltenrand einschneidet, wird man mit dieser Methode jedoch schnell an seine Grenzen stoßen. Doch auch für diese verzwickte Situation gibt es eine Technik, um sich wie der Lügenbaron Münchhausen selbst aus dem Schlamassel zu ziehen – zwar nicht am eigenen Schopf, dafür aber am eigenen Seil.
Material:
1 Kevlarschnur (1 Meter)
1 Kevlarschnur (3 Meter)
1 Kurzprusik
2 HMS Karabiner
Voraussetzung, um mit diesen Methoden selbst aus der Spalte zu klettern ist zum einen, dass die Kameraden, die ebenso in der Seilschaft hängen in der Lage sind den Spaltensturz zu halten. Eine kleine Anweisung, was in diesem Fall zu tun ist schadet vor dem Betreten eines Gletschers definitiv nicht. Sie müssen nach dem Halten des Sturzes lediglich mit gutem Halt im Schnee sitzen und warten.
Die klassische Prusikmethode:
- Zwei bis Drei Meter des Restseils abnehmen bzw. aus dem Rucksack ziehen um Arbeiten zu können
- Mit der ca. 1 Meter langen Kevlarschlinge einen Marchand in das nach oben zu den Kameraden laufende Seil einbinden (Als Blockier- und Selbstsicherungsknoten)
- Unter den Marchand wird mit der langen Kevlarschlinge ein Trittschlinge mittels Prusiks am Seil befestigt (Die Länge der Trittschlinge je nach Gelenkigkeit anpassen)
- In die Schlinge steigen, den Marchand höher schieben und wieder in den Gurt setzen. (Falls erforderlich kann nun der Knoten, mit dem man im Seil eingebunden war, gelöst werden)
- Trittschlinge höherschieben – Aufstehen – Marchand nachschieben – Hineinsetzen – Trittschlinge höherschieben usw…
- Ist das Seil am Spaltenrand nicht eingeschnitten, wird man mit dieser Methode erfolgreich sein
Die Münchhausentechnik:
- Kommt man an den Punkt, wo man sich nicht mehr genügend vom Spaltenrand wegdrücken kann, um das eingeschnittene Seil aus dem Schnee zu befreien, um den Marchand höher zu schieben, wird es Zeit, auf die Münchhausentechnik umzubauen.
- Dazu die Kurzprusikschlinge oberhalb des Marchands mit einem Blockierknoten (z.B. Prusikknoten) befestigen.
- In die Kurzprusik einen Karabiner einhängen (Das ganze System möglichst kurzhalten)
- Danach wird das Seil, das unter den Marchand nach unten läuft in denselben Karabiner, wo auch der Marchand eingehängt ist, dazu gehängt und somit umgelenkt
- Danach das unbelastete Seil ein weiteres mal nach oben in den Karabiner, der in der Kurzprusik hängt, umlenken
- Jetzt hat man einen kleinen Flaschenzug, kann sich mit aller Kraft vom Spaltenrand wegdrücken, um das eingeschnittene Seil zu befreien und kommt trotzdem noch nach oben
- Der Vorteil des Marchand in diesem System ist, dass er sich von selbst nach oben schiebt, sobald man aufsteht und dann wieder blockiert
So oder so ist es ziemlich Kraft und Nervenaufreibend, wenn man sich an einem tief eingeschnittenen Seil selbst aus einer Gletscherspalte befreien muss. Ohne die Münchhausentechnik ist man so gut wie chancenlos und mit dieser Methode hat man zumindest gute Karten, dass es mit den erforderlichen Schweißperlen funktionieren kann.
Standplatzbau im Schnee und Eis
Jetzt gehen wir einen Schritt weiter: Nehmen wir an, dass der Spaltensturz zwar gehalten werden konnte, der Unglückliche jedoch nicht in der Lage ist, sich selbst aus der Misere zu befreien. Entweder ist er verletzt oder verfügt nicht über das nötige Knowhow. Um nicht die gesamte Zeit bis zum Eintreffen der Rettungsmannschaft den in der Spalte hängenden Kollegen halten zu müssen, gilt es einen Fixpunkt zu schaffen und das Gewicht auf diesen zu übertragen. Wir gehen dabei immer vom ungünstigsten Fall aus, dass man nur noch allein außerhalb der Spalte ist. Die erforderlichen Techniken dafür sind folgende:
Material:
1 Kevlarschlinge (3 Meter)
1 Rund- oder Bandschlinge (min. 120cm)
1 HMS Karabiner
1 Eisschraube
1 Gletscherpickel (oder Tourenski)
Standplatzbau im Eis:
Die einfachere und zeitsparendere Methode, welche jedoch wesentlich seltener möglich sein wird, ist es einen Fixpunkt im kompakten Eis zu schaffen.
- Kommt man im eigenen Bewegungsradius an ein solides Eis, kann man an dieser Stelle eine Eisschraube eindrehen
- In die Öse der Eisschraube einen Schraubkarabiner hängen
- Mit der Kevlarschlinge einen Prusikknoten am gespannten Seil, das zur Spalte hinführt, einhängen
- Das andere Ende der Kevlarschlinge idealerweise mittels Halbmastwurf in den Schraubkarabiner der Eisschraube hängen und mit dem Schleifknoten blockieren (so kann der Knoten auch unter Last wieder geöffnet werden)
- Jetzt kann die Last vorsichtig auf den Prusikknoten, welcher im Standplatz fixiert ist, übertragen werden
Standplatzbau im Schnee auf Skihochtour:
Hat man kein hartes Eis zur Verfügung, sondern nur Schnee um sich herum, muss man sich einen T-Anker als Fixpunkt vergraben – was etwas Zeit- und Kraftaufwändiger ist.
- Ist man mit Skiern unterwegs, kann man gleich einen Ski ausziehen und diesen in den Schnee rammen – am besten mit einer leichten Neigung nach hinten
- Mit einer Kevlarschnur wird wieder am gespannten Seil ein Blockierknoten (z.B. Prusik) befestigt und in den im Schnee steckenden Ski eingehängt
- Nun kann die Last auf den Ski übertragen werden und man kann wesentlich besser arbeiten. Der Ski sollte ständig gestützt werden, da er alles andere als ein solider Fixpunkt ist. Er erleichtert jedoch die anstehenden Arbeiten enorm, da man wesentlich mehr Bewegungsfreiheit hat
- Mit der jetzt erhaltenen Bewegungsfreiheit wird hinter dem Ski quer zur Zugrichtung des Seils ein Loch ausgehoben. Es sollte in etwa die Länge des Skis haben und je nach Schneeart ca. 1 Meter tief sein
- Um den zweiten Ski mittels ankerstich eine Rund- oder Bandschlinge befestigen (Achtung auf die Kanten – eventuell das Fell unter die Rundschlinge klemmen, damit es nicht von den Skikanten durchgeschnitten wird)
- Den Ski in das Loch legen und von der Skimitte weg ein schmales Loch in Zugrichtung des Seils machen – hier wird die Schlinge hineingelegt und alle Löcher anschließend mit Schnee zugeschüttet
- In das Schlingenende, das herausschaut einen Schraubkarabiner befestigen. Er wird der zentrale Punkt des Standplatzes
- Mit einer weiteren Kevlarschlinge einen Prusikknoten am gespannten Seil, das zur Spalte hinführt, einhängen
- Das andere Ende der Kevlarschlinge idealerweise mittels Halbmastwurf in den Schraubkarabiner des T-Ankers hängen und mit dem Schleifknoten blockieren (so kann der Knoten auch unter Last wieder geöffnet werden)
- Jetzt kann die Last vorsichtig auf den Prusikknoten, welcher im Standplatz fixiert ist, übertragen werden
Standplatzbau im Firn auf Hochtour:
Im Hochsommer, wenn der Firn härter und kompakter ist und man sowieso keinen Ski zum Vergraben als T-Anker dabeihat, muss man sich mit seinem Gletscherpickel zu helfen wissen.
- Man beginnt direkt hinter sich mit dem Gletscherpickel ein Loch, das quer zur Zugrichtung des Seils verläuft auszuheben
- Auch dieses Loch muss je nach Kompaktheit des Schnees in der Tiefe angepasst werden – besser etwas zu tief als zu wenig tief. Je nach Schneebeschaffenheit mindestens 30-50cm!
- Hat man das erste Loch fertig, wird wieder in dessen Mitte ein schmales Loch nach vorne in Zugrichtung des Seils freigekratzt
- Nun um den Pickel genau in dessen Flächenschwerpunkt eine Rund- oder Bandschlinge mittels Ankerstich befestigen und so in das Loch legen, dass möglichst viel Auflagefläche nach Vorne in Zugrichtung des Seils geboten wird
- Das Loch verschließen und den Schnee ordentlich andrücken
- In das Schlingenende, das herausschaut einen Schraubkarabiner befestigen. Er wird der zentrale Punkt des Standplatzes
- Mit einer weiteren Kevlarschlinge einen Prusikknoten am gespannten Seil, das zur Spalte hinführt, einhängen
- Das andere Ende der Kevlarschlinge idealerweise mittels Halbmastwurf in den Schraubkarabiner des T-Ankers hängen und mit dem Schleifknoten blockieren (so kann der Knoten auch unter Last wieder geöffnet werden)
- Jetzt kann die Last vorsichtig auf den Prusikknoten, welcher im Standplatz fixiert ist, übertragen werden
Die Lose Rolle
Der Spaltensturz wurde gehalten und ein Fixpunkt wurde geschaffen. Wer das alles geschafft hat, hat beim Kollegen in der Spalte schon mal ein großes Bier gut. Er kommt nicht selbst aus der Spalte und auch die Rettung braucht möglicherweise aufgrund schlechter Witterung Stunden, um an Ort und Stelle zu sein. In diesem Fall wird eine weitere Technik erforderlich, mit der man in der Lage ist, den Tourenpartner aus der Spalte zu befreien:
Material Fixpunkt:
1 Gletscherpickel (Eisschraube oder Tourenski) – Fixpunkt
1 Rund- oder Bandschlinge (min. 120 cm.) – Fixpunkt
1 HMS Schrauber – Fixpunkt
1 Kevlarschlinge (3 Meter) - Fixpunkt
Material Lose Rolle:
1 Kevlarschlinge (4 Meter)
1 Microtraxion (alternativ Schraubkarabiner)
Genügend Restseil (deshalb besser nicht mit zu kurzen Seilen auf den Gletscher)
- Nachdem die Last auf den Fixpunkt übertragen wurde, kann man sich selbst am losen Restseil mittels einer langen Kevlarschnur und einem Prusikknoten sichern und nach vorne an den Spaltenrand gehen
- Nun nimmt man Kontakt mit dem Kollegen in der Spalte auf und lässt ihm eine Rolle mit Rücklaufsicherung (Microtraxion) oder falls das nicht vorhanden ist einen Karabiner am Restseil in die Spalte
- Unten muss die Rolle oder der Karabiner in die Anseilschlaufe am Gurt befestigt werden
- In das Seil an dem gezogen werden soll wird nun mit einem weiteren Prusikknoten eine Rücklaufsperre gebaut und ein geschlossener Ring geschaffen
- Nun am Zugseil ziehen und sofort den Prusikknoten nach vorne schieben
- Dieses Prozedere so lange wiederholen, bis man den Tourenpartner aus der Spalte befreien konnte
Der Flaschenzug
Ist man mit der Losen Rolle nicht im Stande den Kameraden aus der Spalte zu bekommen, wird ein Umbau auf einen Flaschenzug erforderlich. Damit ist man imstande durch zusätzliche Umlenkungen des Zugseils den Kraftaufwand zu reduzieren. Folgende Materialien werden dafür benötigt:
Material Fixpunkt:
1 Gletscherpickel (Eisschraube oder Tourenski) – Fixpunkt
1 Rund- oder Bandschlinge (min. 120 cm.) – Fixpunkt
1 HMS Schrauber – Fixpunkt
1 Kevlarschlinge (3 Meter) - Fixpunkt
Material Flaschenzug:
1 Kurzprusik
1 Kevlarschlinge (4 Meter)
2 Karabiner
Idealerweise eine Microtraxion
Genügend Restseil (deshalb besser nicht mit zu kurzen Seilen auf den Gletscher)
Der Expressflaschenzug:
- Ausgangspunkt zum weiteren Umbau auf den Expressflaschenzug ist der Fixpunkt, der bereits für die Lose Rolle benötigt wurde.
- Als nächster Schritt wird mit der Kurzprusik ein Blockierknoten (Prusikknoten) um das gespannte Seil - an dem der Kollege in der Spalte hängt - eingeknüpft und ein Karabiner eingehängt.
- In diesen Karabiner kommt das Lose Restseil. Damit wird es zum einen oben am Fixpunkt und zum anderen am gerade geknüpften Prusikknoten umgelenkt.
- Das Seil ist bereits noch vom Aufbau der Losen Rolle mittels Prusikknoten am Fixpunkt befestigt. Dieser Knoten dient nun als Rücklaufsperre und muss nach jedem hochziehen entsprechend nachgeschoben werden um das Seil wieder zu blockieren.
- Wer hat, kann das Seil am Fixpunkt anstatt durch den HMS Schrauber auch durch eine Microtraxion laufen lassen. Das reduziert nicht nur die Reibung ungemein, man kann sich zudem auch die Rucklaufsperre sparen.
- Nun gilt es zu ziehen und die jeweiligen Blockierknoten immer wieder nachzuschieben.
Der Schweizer Flaschenzug:
- Reicht die Zugkraft auch mit dem Expressflaschenzug noch nicht aus, kann das Seil ein weiteres mal umgelenkt werden. In Südtirol spricht man dann vom Schweizer Flaschenzug.
- Eine lange Kevlarschnur (oder Reepschnur, Bandschlinge...) im Fixpunkt einhängen.
- Das Seil, das an der Kurzprusik umgelenkt wurde, aus dem Karabiner aushängen und die gerade befestigte Kevlarschnur in den Karabiner einhängen.
- Am Ende der Schnur eine Sackstichschlaufe knüpfen und in ihr einen weiteren Karabiner hängen.
- Nun das Lose Restseil in den Karabiner der Kevlarschnur hängen.
- Jetzt kann wieder gezogen werden. Der Kraftaufwand ist jetzt nochmal deutlich reduziert. Der Weg, den man dafür machen muss jedoch deutlich größer.
Spätestens mit der Variante des Schweizer Flaschenzuges ist es auch für weniger starke Personen möglich, ihre schweren Tourenpartner aus der Spalte zu bekommen.
Optimierung der vorgestellten Methoden
Für die hier vorgestellten Techniken gibt es jede Menge Variationsmöglichkeiten. Ich habe mich auf die Grundlegendsten Techniken beschränkt, welche mit den Materialien möglich sind, die jeder auf dem Gletscher dabeihaben dürfte. Microtraxions zählen mittlerweile zur Standardausrüstung auf dem Gletscher. Rollen, T-Blocs und ähnlichen Hilfsmitteln sind ebenfalls sehr zu empfehlen. Damit können die vorgestellten Rettungstechniken natürlich nochmal wesentlich effizienter aufgebaut werden. Ganz vereinfacht kann man sagen: Überall dort, wo mit Blockierknoten wie etwa dem Prusik oder Marchand gearbeitet wird ist der Einsatz einer Microtraxion (oder eines Gerätes mit ähnlicher Funktion) sinnvoll. Idealerweise werden die Geräte dort eingebaut, wo die größte Reibung entsteht und wo eine Rolle den größten Nutzen bieten kann.
Anhand dieser Techniken ist man für den Gletscher bestmöglich vorbereitet und kann die Schönheit dieser einzigartigen Landschaft in vollen Zügen genießen. Spaltenstürze sind wesentlich häufiger, als man annehmen möchte, fast alle gehen jedoch dank der richtigen Techniken, die angewendet werden glücklicherweise glimpflich aus. Eine hilfreiche Information am Ende: Vor allem am Nachmittag, wenn der Schnee aufgeweicht ist halten Schneebrücken wesentlich weniger als in den frühen Morgenstunden, wo alles noch hart gefroren und stabil ist. Deshalb gilt es bis zum Ende der Tour die Konzentration und vor allem die Seildisziplin aufrecht zu erhalten.